Die Helden vom Hillernsen Hamm





Klootschießen

Im Jahr 1986 kehrten sich die Kräfteverhältnisse zwischen Oldenburg und Ostfriesland nach langer Zeit um

Jever Kahlfrost. Seit Tagen war das Quecksilber in den Thermometern nicht mehr über die Null-Grad-Grenze geklettert. Die Felder vor den Stadttoren Jevers lagen an diesem Morgen des 9. Februars 1986 tief gefroren unter einer nur dünnen Schneedecke. Es war windstill bei Temperaturen von unter minus 10 Grad Celsius und es sollte ein sonniger Tag werden. Ideale Bedingungen für einen Länderkampf, der in die Friesen-sport-Geschichte einging. Gegen 9.30 Uhr machten sich Hunderte vom jeverschen Schlosshof auf den Weg in Richtung Hillernsen Hamm. Dort, wo im heutigen Gewerbegebiet unter anderem die Friesland-Halle steht und mehrere Unternehmen ihren Sitz haben, fand der Feldkampf zwischen den Klootschießern Oldenburgs und Ostfrieslands statt. Über acht Stunden lang rangen die besten Athleten der beiden Landesverbände um den Sieg, der unter Friesensportlern Ruhm und Ehre verspricht. Schon seit 9 Uhr waren die Kassen auf den Weiden besetzt. Mehr als 5000 Zuschauer zahlten an den Eingängen zwei D-Mark und wurden Zeuge eines der stimmungsvollsten Prestigeduelle zwischen den Rivalen diesseits und jenseits der goldenen Linie. Schon im Vorfeld hatte dieser 16. Länderkampf an Bedeutung gewonnen. Zum einen kündigte sich nach 16 Jahren ununterbrochener ostfriesischer Vorherrschaft eine Umkehr der Kräfteverhältnisse an. Zu stark waren die Leistungen der jungen oldenburgischen Werfer zu diesem Zeitpunkt. Und zum anderen gab es ja noch das Privatduell zwischen dem 23-jährigen Hans-Georg Bohlken (Schweinebrück) und dem Pfalzdorfer Harm Henkel (32 Jahre). Im September hatten die beiden besten Klootschießer ihres jeweiligen Landesverbandes auf der FKV-Meisterschaft für Gesprächsstoff gesorgt. Beide übertrumpften in Burhave den Weltrekord von Gerd Gerdes. Was zuvor 51 Jahre lang kein Mensch vermocht hatte, gelang Henkel und Bohlken innerhalb eines Tages gleich mehrfach. "Ich hatte im Gefühl, dass ich an diesem Tag weit werfen könnte", weiß Bohlken noch heute. Der Leidtragende war dabei sein ostfriesischer Konkurrent. Henkels Rekord von 102 Metern hatte nur kurze Zeit Bestand. Denn dann kam sein Kontrahent, der "Bär von Ellens", wie der Zwei-Meter-Mann auch genannt wird, und schleuderte die 475 Gramm schwere Kugel auf sagenhafte 105,20 Meter. Das Prekäre an dieser Bestmarke: Er wurde am Ende des regulären Wettkampfes aufgestellt, noch dazu auf der Bahn von Henkel, der diese Tatsachen bis heute nicht überwunden hat.


Vielleicht war es diese Vorgeschichte, die ihn im Februar 1986 am Hillernsen Hamm nervös machte. Vielleicht waren es auch die vielen tausend Zuschauer, die seinem ersten Abwurf an diesem Sonntag entgegenfieberten. Fakt ist, dass sein Wurf, der den Feldkampf in Jever für die Ostfriesen eröffnete, gründlich misslang. "Der ist mir viel zu flach aus der Hand gerutscht und gleich im ersten Graben gelandet", erinnert sich Henkel gut 24 Jahre später nur ungern. Bei 60,70 Metern blieb der Kloot liegen. Das Gelächter der Oldenburger war groß, schließlich hatte Hans-Georg Bohlken den Auftaktwurf auf 116,5 Meter getrüllt. "Am liebsten wäre ich in der Erde versunken", hat Henkel nicht vergessen. Von Anfang mussten er und seine Mannschaftskollegen einem Rückstand hinterherwerfen. Während das Bier in den Zapfanlagen am Rande der Strecke gefror und schließlich ganz versiegte, kamen die Ostfriesen Meter für Meter wieder heran. Auf dem Rückweg von der Wende übernahmen sie sogar die Führung. Der Wettkampf spitzte sich immer weiter zu, bis schließlich Bernd Tapkenhinrichs für die Oldenburger antrat und mit seinem letzten Versuch für die Entscheidung sorgte. Die Handzettel, die die Stadt Jever seit Wochen unter das Volk gebracht hatte, wiesen den 25-Jährigen aus Jaderberg als Bronzemedaillengewinner bei der Klootschießer-EM 1984 aus. Spätestens seit diesem Wettkampf in Jever aber wurde für die meisten Augenzeugen der Name Bernd Tapkenhinrichs wohl unvergesslich. Mit einem 156-Meter-Wurf machte er sich in Klootschießerkreisen unsterblich und sicherte Oldenburg den ersten Sieg bei einem Länderkampf seit 1970. "Ein Riesenmoment", erinnert sich Hans-Georg Bohlken an diesen Augenblick. Der Jubel der Zuschauer kannte keine Grenzen, Elimar Wieting, Vorsitzender des Kreisverbandes der Friesen-sportler im Jeverland, vergoss Tränen der Freude und die Helden vom Hillernsen Hamm kehrten im Triumphzug in den Schützenhof zu Jever ein, "wo wir dann auch etwas länger geblieben sind", wie Bohlken lachend anmerkt. "Es war eine Wahnsinnsfeier", sagt Ingo Hashagen, der damals Stadtdirektor war und sich anlässlich des 450-jährigen Bestehens der Stadt Jever für die Ausrichtung des Ländervergleichs stark gemacht hatte. "Für mich zählt dieser Feldkampf zu einer der schönsten Erlebnisse in Jever", sagt er rückblickend.

Quelle: Jeversches Wochenblatt